Julia Pelta Feldman in einem Artikel für die Zeit vom 02.01.2017.

Das „Superkunstjahr 2017“ ist vorbei. Biennale in Venedig, Documenta in Kassel und Athen, Skulpturprojekte in Münster – das waren die wichtigsten Großereignisse im vollgestopften Kalender des letzten Jahres. Weitere Themen waren die zahlreichen identitätspolitisch motivierten Debatten und vor allem zum Jahresende hin die verstärkte Anklage sexistischer Strukturen in der Kunstwelt im Zuge der #meetoo Bewegung.

An dieser Stelle möchte ich zwei Jahresrückblicke empfehlen:

Für die TAZ hat Brigitte Werneburg die Geschehnisse des vergangenen Jahre zusammengefasst und spricht von einer „Katastrophe“. Wenig erbaulich auch ihre Erwartungen für 2018: Der ihrer Meinung nach übertriebene identitätspolitische Interventionismus des Jahres 2017 werde sich im kommenden Jahr erst recht etablieren.

Kolja Reicherts Rückblick für die FAZ fällt ausführlich und scharfsinnig aus. Bemerkenswert ist allerdings die fast völlige Abwesenheit von ökonomischen Aspekten sowohl in Reicherts als auch in Werneburgs Rückschau. Dabei gäbe es durchaus einiges zu besprechen – die finanzielle Not des Galerie-Mittelbaus; die weiter zunehmende Wichtigkeit von Kunstmessen und der ebenfalls zunehmende Überdruss bei Galerien und Publikum; damit einhergehend die Etablierung alternativer Vertriebskonzepte; die Auswirkungen der Digitalisierung etc.

In einem Beitrag für den Fokus beschäftigt sich Autor Wolfgang Ullrich mit der zunehmenden Empfindsamkeit im akademischen Betrieb – Ende der 1960er Jahre seinen Universitäten Orte des Regelbruchs gewesen, es sei darum gegangen die Grenzen des Erlaubten zu erweitern. Heute würde an Hochschulen die Angst vor Regelverstößen um sich greifen. Die Forderung nach Einrichtung von "Safe Spaces", also nach Räumen, in denen man davor sicher sei, in der eigenen "sexuellen, ethnischen oder religiösen Identität provoziert zu werden", werde immer häufiger gestellt. Ullrich nennt einige interessante Beispiele für Streitfälle sowohl an deutschen Universitäten als auch aus dem Kunstbetrieb und schließt seinen Debattenbeitrag mit folgendem Statement: "Es ist heutzutage somit kein Widerspruch mehr, einerseits zu proklamieren, dass Kunst wehtun müsse und dass Konventionen abgeschafft gehören, andererseits aber gegen alles – auch gegen Kunst – zu protestieren, was einem selbst wehtut. Damit hat der Geist von 1968 50 Jahre später aber nicht mehr viel mit wirklicher Befreiung zu tun, sondern hat sich auf eine Strategie verengt, die denen, die sie nutzen, allein dazu dient, auf Kosten anderer selbst zu mehr Macht zu gelangen."

Einen gänzlich anderen Standpunkt als Ullrich nimmt die Kunsthistorikerin Julia Pelta Feldman ein. In einem Beitrag für die Zeit beschreibt sie die in letzter Zeit häufiger vorgebrachte Sorge um die Freiheit der Kunst als verfehlt. Angesichts einer Fülle von Streitfällen, in denen häufig Angehörige von Minderheiten bzw. unterprivilegierten Gruppen sich von bestimmten Kunstwerken provoziert oder beleidigt fühlten, mehrten sich auch die Stimmen derer, die vor Zensur der Kunst warnten. Die gesetzlich verankerte Freiheit der Kunst sei allerdings eine Illusion, wenn sie nur von wenigen Privilegierten in Anspruch genommen werden könne: "[…] was dieser rechtliche Schutz nicht anerkennt und auch nicht ungeschehen machen kann, ist, dass bis vor nicht allzu langer Zeit fast ausschließlich weiße Männer in den Genuss kamen, diesen Schutz überhaupt in Anspruch zu nehmen. Abstrakte Prinzipien nützen wenig, wenn man praktisch daran gehindert wird, sie zu nutzen. Solange Frauen und andere marginalisierte Gruppen keinen gleichberechtigten Zugang zur Kunstwelt haben, bleibt das abstrakte Ideal der Kunstfreiheit ein liberales Trugbild." Feldmanns Verteidigung der Interventionen gegen Kunstwerke bzw. deren Präsentation der vergangenen Monate ist eine der besten Debattenbeiträge bisher – unbedingt lesen!

Daniele Muscionico hat für die NZZ mit Philipp Ruch gesprochen, dem Gesicht des KünstlerInnenkollektivs Zentrum für Politische Schönheit. Zuletzt hatte die Gruppe mit einer Aktion für Aufsehen gesorgt, die den AfD-Politiker Björn Höcke zum Ziel hatte – in Sichtweite seines Privathauses errichteten sie ein Stelenfeld, welches an das Holocaust-Denkmal in Berlin erinnern sollte. Muscionico macht keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen das Gebaren des Kollektivs und das ihres Gründers, Ruch weiß sich allerdings gut zu verteidigen. So lernt man viel über das Selbstverständnis der Gruppe und die Ziele ihrer Arbeit. Ein interessanter Punkt Ruchs: "Ich verstehe nicht, warum die Gesellschaft in deutschen Talkshows seit fünfzehn Jahren ausschliesslich von Politikern und Journalisten vertreten wird. Wo sind die öffentlichen Intellektuellen alle hin? Wo sind die Künstler, Schriftsteller und Regisseure, die man früher dringend brauchte, um über die Gesellschaft nachzudenken?"

In Moskau hat kürzlich die Ausstellung "Superputin" eröffnet. Gezeigt werden ausschließlich Werke, die den russischen Präsidenten porträtieren. Viele Arbeiten sind derart kitschig und übertrieben geraten dass man aus der Ferne betrachtet eher an eine Satire-Show denkt. ANDRÉ BALLIN berichtet im Standard über die Hintergründe der Ausstellung.

Die Arbeiten des Malers Michael Krebber strahlen in ihrer scheinbaren Nachlässigkeit eine derartige "Kunstlosigkeit" aus, dass sie wohl von den meisten Zeitgenossen als gnadenlose Frechheit wahrgenommen werden dürften. Das Spiel mit der Negation aller Erwartungen an Malerei hat Krebber perfektioniert. Seine künstlerische „Fuck you“ - Attitüde hat ihn zum Vorbild gemacht für eine ganze Reihe junger Malerinnen und Maler. Amüsant und irgendwie grotesk ist ein Artikel über ihn geraten, der auf bloomberg.com erschienen ist. Darin wird seine Arbeit als perfektes Investment klassifiziert, da seine Preise verhältnismäßig niedrig seien im Vergleich zu seiner künstlerischen Credibility. Wer jetzt investiere, der könne von den bald zu erwartenden Preissteigerungen profitieren. Die vorgebrachten Argumente wirken nachvollziehbar, allerdings hinterlässt die ökonomische Evaluation von Krebbers Punk-Attitüde einen merkwürdigen Nachgeschmack ...