Jörg Heise hat sich für Frieze die beiden großen Ausstellungen des gerade schwer gehypten "Situationskünstlers" Tino Sehgal in Berlin und Amsterdam angeschaut und über seine Erfahrungen einen wirklich lesenswerten Artikel geschrieben. Heiser beschäftigt vor allem folgende Frage: "Lässt sich für die vergangenen Jahre eine signifikante Entwicklung im Werk Sehgals beschreiben, und wie verhält sich diese zum großen gesellschaftlichen Gewese? Ausgangsthese: Ja, eine solche Entwicklung lässt sich beschreiben und sie hat zu tun, ex negativo, mit dem Aufstieg der sozialen Medien im exakt gleichen Zeitraum und dem damit wiederum dialektisch verknüpften Aufstieg der sogenannten 'Live Art' im musealen Präsentationshorizont." Die Ausführungen des Frieze-Chefredakteurs geben einem einen außergewöhnlich guten Eindruck von Sehgals nicht unumstrittener künstlerischer Praxis – unbedingt lesenswert.

StreetArt- und Kunst(?)-Star Banksy hat einen neuen Coup gelandet: Im heruntergekommenen Badeort Weston-super-Mare ließ er einen "Vergnügungspark" namens "Dismaland" errichten, vollgestopft mit eigenen Kunstwerken und den Leihgaben anderer Künstler. „Dismal“ bedeutet soviel wie "bedrückend" und "düster" und das ist durchaus programmatisch zu verstehen. Der Medienhype ließ nicht lange auf sich warten, der Besucheransturm seit der Eröffnung am vergangenen Freitag ist erwartungsgemäß gewaltig. Guardian-Redakteur Jonathan Jones hat sich in der Rieseninstallation umgesehen und war "not amused": "Dismaland is a kind of consummation, for me, of all that is false about Banksy. It claims to be 'making you think' and above all to be defying the consumer society, the leisure society, the commodification of the spectacle. [...]. But it is just a media phenomenon, something that looks much better in photos than it feels to be here. [...] As an actual experience it is thin and threadbare, and I found, to be honest, quite boring."

Passend dazu ist in der gleichen Zeitung ein Interview mit dem öffentlichkeitsscheuen Künstler erschienen, in dem er über seinen "Bemusement Park" Auskunft gibt.

Das Künstlerkollektiv K-HOLE aus New York dürfte vielen spätestens seit dem unglaublichen Medienrummel um den Begriff "Normcore" ein Begriff sein. Die sich selbst auch als "trend forcasting agency" bezeichnende Gruppe hat nun ihren neuen "Report" veröffentlicht, ein sechsunddreißigseitiges PDF in gewohnt zeitgenössischer Optik. Inhaltlich geht es ziemlich verwirrend zu – Magie lautet das Thema im weitesten Sinne. Leider gestaltet sich die Lektüre ziemlich erkenntnisarm, ganz im Gegenteil zum wirklich empfehlenswerten, vorangegangenen Report "Youth Mode". Auch ästhetisch können K-HOLE nicht ganz das Niveau halten, die Freshness des "Normcore"-Reports bleibt unübertroffen.

Wer einen guten Überblick über die – mittlerweile auch zahlreichen geschäftlichen - Aktivitäten des Kollektivs erhalten will und außerdem herausfinden will, was der neue Report inhaltlich zu bieten hat, dem sei dringend der Artikel ans Herz gelegt den Jessica Contrera für die Washington Post verfasst hat.

Einen weiteren interessanten Debattenbeitrag zum Thema Nazi-Kunst liefert Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung. Anlass ist die "Entdeckung" von drei großen Pferdeskulpturen auf einem bayrischen Schulhof, geschaffen 1939 von Josef Thorak, welcher einer von Hitlers Lieblingsbildhauern war. "Hauptwerke des Regimes wie das Bronzepferd von Ising gehören nicht weggesperrt oder eingeschmolzen. Niemand wird zum Nazi, bloß weil er eine Skulptur betrachtet. Die Arbeiten gehören im Gegenteil angeschaut, eingeordnet, verstanden", so Vahland. Eine Gesellschaft, in der Bilder immer wichtiger werden, im Internet, im Wahlkampf, überall, könne es sich nicht leisten, Fragen der Ästhetik zu belächeln. Erst recht nicht, wenn 80 Jahre zuvor Bilder und Kunst der Kriegshetze dienten.

Zwei empfehlenswerte Artikel widmen sich im weitesten Sinne dem Thema "Auftragskunst", und zwar aus zwei sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Im ersten vertritt Wolfgang Ullrich in der Zeit die These dass Auftragskunst heute wieder so selbstverständlich sei wie zu vormodernen Zeiten. Als Aufhänger dient ihm der kürzlich eskalierte Streit zwischen dem Künstler Danh Vo und dem Sammler Bert Kreuk, der sich von Vo um eine bestellte Großskulptur betrogen sah. Ullrich schreibt: "Viele Künstler, obwohl wie kaum jemand sonst durch einen Markt definiert, hängen noch an einem aus der Zeit der Avantgarden stammenden Selbstverständnis von Autonomie, reagieren also empfindlich auf Vorgaben und Regeln und sehen sich lieber als Rebellen denn als korrekte Geschäftsleute. Auftraggeber und gerade private Sammler tun sich umgekehrt oft schwer, das Verhalten von Künstlern richtig einzuschätzen. Entweder erwarten sie von ihnen naiv dasselbe wie von anderen Vertragspartnern, oder aber sie fassen Künstler nur mit Samthandschuhen an und lassen ihnen jede Marotte und Schikane durchgehen. Beides droht die Qualität der Auftragsarbeit zu beeinträchtigen, die einmal beschränkt, im anderen Fall beliebig-bequem zu werden droht."

Der zweite Artikel zum Thema ist im Freitag erschienen. Jörg Augsburg macht sich hier Gedanken über die strukturellen Unterschiede zwischen Kunst und Popmusik: "Gerade im in voller Blüte stehenden EDM [Electric Dance Music]-Hype ist der Widerspruch zwischen Kunst- und Warencharakter einerseits eh schon obsolet. Schließlich wird Tanzmusik per se als Dienstleistung kreiert. Einen künstlerischen Anspruch zu formulieren fällt deutlich schwerer, zumindest, wenn die grundlegende Funktionalität nicht gefährdet werden soll." Wer sich dem als Performer bzw. DJ verweigere, der müsse sich schon fragen lassen wofür er bezahlt werde. Das sei Betrug am Publikum, so Augsburg: "Wer Kunst machen will, hat auf solch einer Veranstaltung nichts verloren. Wer Kunst sehen und hören will, selbstverständlich auch nicht."

Sonja Vodel hat sich für die Taz in der Moskauer Kunstszene umgesehen und weiß wenig Erfreuliches zu berichten. Das repressive Auftreten des russischen Staates mache es für unabhängige Künstler und Kuratoren immer schwieriger zu arbeiten. Zur eher harmlosen Ausstellung im neu eröffneten Museum von Oligarchen-Gattin Daria Schukowa bemerkt die Autorin: "Wer kann den Aktiven da vorwerfen, die Kunst brav zu halten, auf der sicheren Seite zu bleiben, wenn sich die Schlinge zuzieht? Die zeitgenössische Kunst in Russland ist defensiv geworden – wie man es in der Garage sieht – und ohne Kontakt zur fragilen Zivilgesellschaft, die sich insbesondere nach den Protesten gegen die Wahlfälschungen 2011 und 2012 entwickelt hat. Und so zeigt die Kunstszene wie unter dem Brennglas die Atmosphäre in der russischen Gesellschaft. Während Meinungsumfragen eine überwältigende Mehrheit – bis zu 80 Prozent – hinter Putin sehen, relativieren KritikerInnen die Statistiken. Ihr Argument: Niemand traue sich die Wahrheit über den eigenen Standpunkt zu sagen. Das System Putin indes bleibt stabil."