Swantje Karich in einem Artikel für Die Welt, 03.06.2016.

Vor etwas mehr als einer Woche eröffnete die neunte Ausgabe der Berlin Biennale, dieses Mal kuratiert von dem New Yorker Kollektiv DIS, deren wohl bekanntestes Projekt bisher die Website dismagazine.com war. Zeit genug also für die (Welt-)Presse, sich einen Eindruck von der Großausstellung zu verschaffen.

Bereits im Februar diesen Jahres verkündete Spike-Redakteur Timo Feldhaus in seiner Kolumne "RealTime": "Das Ende der Berlin Biennale im Spätsommer wird das offizielle Ende der Post Internet Art und das inoffizielle Ende von Berlin." Weniger polemisch fällt seine Besprechung des Großereignisses aus. Feldhaus erkennt unter der Oberfläche der Überaffirmation ein klassisch modernistisches Anliegen: „Bereits der Ausstellungstitel „The Present in Drag” lässt ein Selbstverständnis erkennen, das komplett in den Traditionslinien modernistischer Emanzipation wurzelt. Es ging DIS schon immer darum, Narrative für eine stark beschleunigte Gegenwart zu finden, die diese möglichst noch einmal überspitzt. Eine klassische Figur des Camp. Die Schwebe, die so eine Travestie erzeugt und in der sich manche Kritiker aufgrund einer dann hergestellten neuen Neutralität so unwohl fühlen, ist erzeugt durch eine Verkleidung, ein Anschubsen der Bilder, die uns sowieso umgeben.“

Auch Annika von Taube vom Blog Blitzkunst hat sich auf der BB9 umgeschaut und bekennt: "Selten so viel Spaß gehabt bei einer Biennale. Aber auch: Selten so schnell durchgerauscht durchs Hirn, die Kunst. Zumindest am Ausstellungsort Akademie der Künste [...]". Genervt scheint die Autorin von den aufwändig inszenierten Settings zu sein, in die fast jede Videoarbeit eingebettet ist: "Warum reicht es den Künstlern nicht, einfach nur einen Film zu zeigen, wozu braucht es immer noch Sitzlandschaft oder Wasserspiegelspielerei? Vielleicht, weil all diese Filme gleich aussehen und sich zumindest durch das Setting unterscheiden sollen? Weil diese Künstler der Kraft ihres Mediums nicht vertrauen"

In einem Interview des i-D Magazines kommen die Macher der Ausstellung selbst zu Wort. Ihren kuratorischen Ansatz beschreiben Sie folgendermaßen: "Es gibt eine immerwährende Umkehrung der kulturellen Logik—Aktivismus wird vom Kommerz geschluckt, Anti-Wissenschaften übernehmen strukturelle und ästhetische wissenschaftliche Codes. Die kalifornische Ideologie hat sich in Spiritualität und Wohlbedacht verwandelt. Widerstrebende Wertesysteme werden in kommerziellen Produkten zusammengefasst. Glück ist heute ein Wirtschaftsfaktor und Verwirrung ist eine zentrale Strategie politischer Kontrolle. Unser Ziel ist es aber nicht, die Verwirrung zu feiern oder den Besucher zu verwirren. Uns interessiert, wie Künstler mit der Komplexität von Botschaften, Bildern und der Gegewartsideologie umgehen, und neue Wege zu finden, die die Widersprüche sichtbar machen, sie wahrnehmen und präsentieren. Und dadurch zu einem anderen Verständnis und Wahrnehmung gelangen."

Swantje Karich hat ihre Eindrücke für Die Welt festgehalten. Auch sie scheint nicht wirklich überzeugt zu sein vom kuratorischen Ansatz der des New Yorker Kollektivs: "[...] so macht sich schon nach einem ersten Rundgang eine Müdigkeit breit – angesichts von so viel Übertreibung und Verkleidung. Irgendwann fragt man sich: Ist das digitale Leben wirklich so schlimm?“ Die Entscheidung von DIS und den von ihnen eingeladenen Künstlern, nicht offensiv Position zu beziehen zu politischen, kulturellen oder technologischen Problemen, scheint ihr eher Makel als Qualität zu sein: “Die Biennale macht ratlos. Irgendwie waren wir doch schon einmal weiter, als die allgemeine Auflösung der Kategorien zu durchleben und zu beklagen."

Zu guter Letzt sei noch auf einen Beitrag zur Berlin Biennale verwiesen, welcher ausschließlich online zu betrachten ist: Die auf virtuelle Ausstellungen spezialisierte Plattform New Scenario hat eine Show kuratiert, die sich ausschließlich in sämtlichen Öffnungen des menschlichen Körpers abspielt. Programmatischer Titel der Ausstellung: "Body Holes".