Zitat der Woche von Wolfgang Ullrich aus seinem Artikel über Kunstfreiheit und Moral, veröffentlicht bei SWR am 10.05.2018.
Um die Unterschiede zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit und den Stellenwert der Moral innerhalb der Künste dreht sich ein Essay von Wolfgang Ullrich, welches im Radiosender SWR ausgestrahlt wurde und hier nachgelesen werden kann. Ullrich stellt fest, "[...] dass der Rechtsgrundsatz der Kunstfreiheit auf einem idealistischen Begriff von Kunst gründet, demzufolge diese aus Werken besteht, die dank ihrer Autonomie ebenso unkonventionell wie zeitlos sind. [...] Künstler, die keinen derart idealistischen Kunstbegriff vertreten und die ihre eigene Arbeit nicht als zeitlos-allgemeingültig einschätzen, sind daher konsequent, wenn sie sich lieber auf die Meinungs- als auf die Kunstfreiheit berufen." Eine idealistische, ihre Autonomie beschwörende Vorstellung von Kunst hätten heutzutage allerdings nur noch wenige, so Ullrich. "[…] die Konflikte drehen sich kaum noch um ästhetisch-formale Fragen, sondern entzünden sich daran, ob die in einem Werk manifestierte Einstellung – die Moral – akzeptabel ist oder nicht", so der Autor. Ullrich weiter: "Verallgemeinernd könnte man die Diagnose wagen, dass kunstspezifische Diskurse und Kriterien gegenüber gesellschaftspolitischen Belangen ins Hintertreffen geraten sind und für sich alleine nicht mehr genügend Dringlichkeit zu entwickeln vermögen. Gerade auch Kuratoren, Kunstkritiker und Feuilletonredakteure diskutieren mittlerweile lieber über Diskriminierungserfahrungen und soziale Ungleichheit als über Stilelemente, kunsthistorische Genealogien oder das, was Kunst von allem anderen unterscheiden könnte." Wer in Kunstwerken vor allem Manifestationen von Meinungsäußerungen erkenne und nichts über sie Hinausweisendes, für den erscheine jede Zumutung durch ein Kunstwerk als reine Provokation und nicht als etwas möglicherweise Horizonterweiterndes. Das Museum als "Safe Space" sei keine sinnvolle Konstruktion, so Ullrich. Die nun angestoßene Debatte um Kunst, Moral und Politik solle dafür genutzt werden, einige fundamentale Fragen zu klären: "Ganz allgemein geht es somit um die Frage, ob noch ein Wille existiert, die Kunst als etwas Eigenständiges zu bewahren und sich daher auch für Kunstfreiheit einzusetzen. Sollte es diesen Willen nicht mehr geben, wird vieles, was während der gesamten Moderne selbstverständlich war, nicht länger verteidigt werden und zum Teil vielleicht sogar verschwinden."
Künstlerin Amy Sherald malte das offizielle Portrait von Michele Obama, welches im Februar diesen Jahres der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Anlässlich ihrer Ausstellung im Museum für Zeitgenössische Kunst in St.Louis sprach Rikki Byrd für hyperallergic.com mit Sherald unter anderem über ihr Selbstverständnis als afroamerikanische Künstlerin und ihren Wunsch, ihre extrem forderndes Arbeitspensum einzugrenzen: "Everybody’s talking about self-care, but you wake up and you skip the gym to get to the studio early. I got sick as soon as Michelle [Obama] left the studio. The next day it’s like the adrenaline left my body and I was in the hospital for three days. That was my lesson. I had been working, working, working, and it’s almost impossible to even enjoy what’s happening because you’re pushed to meet the demands of the market. Everything becomes rushed. Each day becomes rushed to the point where you’re not giving yourself an hour. […] No more seven days a week. No more 14 hours days. I have to pace this out and find my equilibrium and figure out how to not die in the process."
Die "Dekolonialisierung" musealer Sammlungen ist gegenwärtig ein wichtiges Thema. Viele Exponate gelangten in der Vergangenheit auf gewaltsamen Wegen in den Besitz deutscher Institutionen, wobei hier die koloniale Vergangenheit der Bundesreprublik besonders im Fokus steht. Die Rückgabe gestohlener Kulturgüter werde allerdings durch viele Faktoren erschwert, wie Karl-Heinz Kohl in seinem äußerst interessanten Artikel für die FAZ berichtet. Ein Beispiel: "Wie bereits gesagt, hat die Bundesregierung bislang kaum offizielle Anfragen nach der Restitution von Kulturgütern erhalten. Das hängt mit der ethnischen Vielfältigkeit der aus den ehemaligen Kolonien hervorgegangenen Staaten zusammen. Ihr Kulturerbe ist alles andere als einheitlich. So dürften die muslimisch geprägten Eliten aus dem Norden Nigerias, die über Jahrzehnte die Staatsoberhäupter des Landes gestellt haben, nur geringes Interesse daran haben, die Götterstatuetten, Ahnenfiguren und Geistermasken der nach islamischer Doktrin als 'heidnisch' geltenden Völker aus dem Süden des Landes zurückzufordern."
Nicolas Schaffhausen wird von seinem Posten als Direktor der Kunsthalle Wien frühzeitig zurücktreten, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde. In einer Mitteilung auf der Website der Kunsthalle schreibt er unter anderem: "In der derzeitigen nationalistischen Politik in Österreich und der europäischen Situation sehe ich die Wirkungsmächtigkeit von Kulturinstitutionen wie der Kunsthalle Wien für die Zukunft in Frage gestellt. […] Ich sehe es als logische und konsequente Weiterentwicklung meiner bisherigen Arbeit, zukünftig die Produktionsbedingungen und Möglichkeiten von Kulturdiskurs im institutionellen Kontext auf einer sehr viel grundsätzlicheren Verhandlungsebene als sie innerhalb einer klassischen Institution machbar oder sinnvoll ist, zu untersuchen und zu gestalten." In Österreich regiert zurzeit eine Mitte-Rechts-Koalition, welche eine deutlich national-konservativ gefärbte Politik betreibt.
Die Reaktionen auf Schaffhausens Entscheidung fallen nicht nur positiv aus. Gerhard Ruiss vom Literaturhaus Wien kritisiert ihn auf Deutschlandfunk Kultur deutlich. Er lasse oppositionell arbeitende Kulturschaffende allein. Seine öffentliche Resignation sei bedauerlich, ein gesellschaftspolitische Auseinandersetzung sei gerade jetzt umso wichtiger.
Anne Katrin Feßler spekuliert im Standard über die wahren Gründe für den vorzeitigen Abgang Schaffhausens: "Womöglich ist die neuerliche Budgetkürzung 2018 ein Grund für sein Handtuchwerfen. Wahrscheinlicher ist, dass den gut vernetzten Kurator und Kulturmanager, der neben seiner Wiener Direktion einige andere Aufgaben übernahm, ein anderer Job lockt, jedoch nicht in einer Institution." Schaffhausen sei mit seinem kuratorischen Programm in Wien gescheitert, nun ziehe er die Konsequenzen.
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung nimmt Schaffhausen persönlich Stellung zu seiner Entscheidung. Er berichtet über das aus seiner Sicht sich verschlechternde gesellschaftliche Klima in Österreich und Fälle persönlicher Anfeindungen. Seine Beschreibung der aktuellen gesellschaftlichen Situation fällt wenig positiv aus: "Während der sich ein Jahr hinziehenden Bundespräsidentenwahl 2016 sind so viele Hüllen und Hemmungen gefallen in diesem Land. Das gesellschaftliche Klima hat sich nachhaltig zum Negativen verändert. Das hat meine Entscheidung reifen lassen. Es mangelt an Opposition, zivilgesellschaftliches Denken und Handeln wird zu wenig stimuliert. Ich meine nicht nur die Parteien, sondern das Engagement der Bürger insgesamt. Viele Leute kümmern sich offenbar nur noch um sich selbst."
Robert Indiana, der Schöpfer der berühmten "LOVE" - Skulptur, ist vor wenigen Tagen gestorben. In seinem Nachruf für die Süddeutsche Zeitung erinnert Peter Richter an Leben und Werk des amerikanischen Pop-Art Künstlers. "LOVE", im Jahre 1962 entstanden, machte Indiana berühmt, lag aber von da an wie ein Fluch über der Arbeit des Künstlers, so Richter: "Das Junior Council des MoMA bestellte eine Druckversion davon für die Weihnachtskarten des Jahres 1965. Damit kam der Riesenerfolg. Aber damit kam auch die Tragik über Indiana. Aus einem Künstler, der sich mit Gebrauchsgrafischem beschäftigte, wurde so nun selbst ein Gebrauchsgrafiker, der sein einmal gefundenes Schema fortan für alle möglichen Vierbuchstabenworte hergab, und wenn er es nicht selbst hergab, wurde es einfach genommen." Damit sei Indiana in der New Yorker Kunstszene unten durch gewesen.
"Wir brauchen einen neuen Modebegriff" - das fordert Katrin Kruse in einem Essay, welches die TAZ veröffentlicht hat. Die Mode leide an einem unauflösbaren Paradoxon: "'Die Mode' setzt die Lust voraus, etwas mit den anderen gemeinsam zu haben – das ist die Idee vom Zeitgeist, vom Capter l’air du temps. Nur: Man will heute nicht mehr so aussehen wie die anderen. Der Mode sind quasi ihre Bedingungen abhandengekommen." Dennoch kleideten sich die Menschen ja weiterhin nach bestimmten Kriterien. Kruse schreibt: "Die eigene Weise, sich anzuziehen, kann konzeptuell sein, eine Vorliebe fürs Verhüllen oder Exponieren, fürs Auffallen oder fürs Greymousing oder für das grellstmögliche Unterlaufen von Codes. Darum geht es in der Mode künftig: sehen lernen. Und sehen: Was ist Interessantes daran?" Die Beschreibungen der Autorin erinnern stark an Produktionsstrategien und Rezeptionsmuster aus dem Bereich der Bildenden Kunst, vor allem der Konzeptkunst. Aneignung, Umwertung und Neukontextualisierung sind besonders populäre Strategien, welche auch vom Modelabel Vetements praktiziert werden. Über die Grenzen der Modewelt hinweg bekannt wurde das Label spätestens mit der Präsentation ihres DHL-Shirts im Jahre 2016, welches quasi identisch war mit dem Original des Versanddienstleisters, allerdings 245 Euro kostete. Die nächste Stufe der Aneignungsspirale: Lukas Popp' HDL Shirt, welches auf The Internet Shop für günstige 29€ bestellt werden kann.
Ein gutes Beispiel dafür, wie mächtige Algorithmen die Form kultureller Produktion beeinflussen können, liefert Dennis Pohl in seinem Artikel über den Musikstreamingdienst Spotify, welcher auf Spiegel Online erschienen ist. Die Musikvorschläge, die Spotify seinen Benutzern unterbreite, würden von einer Software gesteuert, welche Musik nicht nur nach oberflächlichen Kategorien sortiere, sondern deren klangliche Eigenheiten analysiere, so der Autor. Dadurch sei allerdings die musikalische Vielfalt in Gefahr, denn: "[...] Spotifys Algorithmen suchen nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und fachen damit einen Darwinismus an, bei dem sich durchsetzt, was bei möglichst vielen Leuten möglichst schnell zündet. In den allermeisten Fällen ist das seichte und freundliche Musik, die in jede Playlist passt." Die Industrie passe inzwischen die Struktur der veröffentlichten Musikstücke so an, dass sie innerhalb der Eigenlogik des Spotify-Algorithmus die beste Performance erziele. "Ein Leitfaden dabei lautet, dass im ersten Viertel eines Songs möglichst schon Strophe, Refrain und Hook enthalten sein müssen, damit die Hörer zumindest 30 Sekunden dranbleiben, der Zeitraum, in dem der Song als gestreamt gilt und damit für die Charts gewertet werden kann [...]"
Jan Fleischhauer kritisiert in seiner Kolumne auf Spiegel Online den Humoristen und Moderator Jan Böhmermann, welcher das Internet mit Hilfe einer Bürgerbewegung namens "Reconquista Internet" zu einem besseren Ort machen möchte. Die moralische Selbstgerechtigkeit Böhmermanns scheint Fleischhauer ganz besonders zu stören: „Im 'Neo Magazin Royale' kann man sehr schön sehen, was passiert, wenn Humor Gutes bewirken soll. Humor zieht seine Kraft aus allem Möglichen, aus dem Tragischen, dem Albernen, dem Anarchischen. Nur die Pädagogik ist als Schürfgebiet leider denkbar ungeeignet."
Isabelle Graw, Herausgeberin der Kunstheorie-Zeitschrift Texte zur Kunst, hat Ende vergangenen Jahres ein Buch über Malerei veröffentlicht, welches dazu dienen soll, eben jene in ihrer zeitgenössischen Form in ihren Eigenheiten zu beschreiben und verständlich zu machen. Anne Marie Freybourg wirft Graw in der Zeitschrift Von Hundert unter anderem zahlreiche methodische Mängel vor sowie eine ungenaue Verwendung von Begrifflichkeiten. Ihrem kunstwissenschaftlichen Anspruch werde sie nicht gerecht, so Freybourg. Auch wenn der Artikel der Autorin sich über weite Strecken wie akademisches Geplänkel liest, so erfährt man doch einiges über dessen Gegenstand.
Zu guter Letzt empfehle ich noch dieses irrsinnig pathetische Werbevideo für eine Kreisverkehrsskulptur, welche kürzlich im nordrhein-westfälischen Haan aufgestellt wurde.