Moritz Scheper (I), Johannes Bendzulla (B)
I: Um unserem Gespräch ein bisschen Drive zu geben, habe ich mir ein paar teilweise überspitzte Thesen zurechtgelegt, mit denen ich dich konfrontieren möchte. Die erste davon lautet wie folgt: Auch wenn sich wahrscheinlich niemand jemals selber so bezeichnet hat – du bist ein Post-Internet-Artist!
B: Ich fürchte, das stimmt auf eine gewisse Art. Ich bin auf jeden Fall mit diesem Diskurs in Berührung gekommen, als das damals losging, und es hat mich total fasziniert, muss ich sagen. Weil da plötzlich eine krasse Zeitgenossenschaft war, die so aufgeploppt ist, auch in einer Ästhetik, mit der ich selber zu tun hatte. Ich habe meine ganze Jugend über sehr viel Computerspiele gespielt, ich habe also schon lange eine gewisse Affinität zu computergenerierten Bildern. Deswegen fand ich P.I.A. total faszinierend und habe mich damit auch ziemlich viel beschäftigt, auf eine wirklich fast rein formal-ästhetische Art. Also ja, auf eine gewisse Art hat Post-Internet mich beeinflusst. Aber eher in einer Art von komisch affirmativem Flash für so ungefähr zwei Jahre.
I: Gab es bestimmte Phänomene oder Schlüsselwerke bei Post-Internet, die dich fasziniert haben?
B: Ich habe 2013 diese Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ im Fridericianum gesehen, wo das so musealisiert wurde. Und da hat mich schon diese Formensprache begeistert. Diese Art, ich sage mal, mit Materialität, Körperlichkeit und digitaler Abstraktion umzugehen. Das fand ich irgendwie geil, aber das hat dann auch relativ schnell wieder nachgelassen. Ich glaube, das war tatsächlich der Reiz des Neuen, auf so einer ganz einfachen Begeisterungsebene. Ich habe mich dann auch selber ein bisschen verrannt in ein paar ästhetischen Experimenten in der Zeit (lacht). Das wurde aber im künstlerischen Prozess irgendwann langweilig für mich, ich bin da auch kaum zu guten Ergebnissen gekommen.
I: Ich reite so stark auf Post-Internet herum, weil es bei dir auch so eine gewisse Technophilie gibt, die du vielleicht aus der Zeit noch rübergerettet hast?
B: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, eine Konstante in meiner Arbeit sind ästhetische Strategien, wo es so um Körperlichkeit, Zufall, Organik, das Unvorhersehbare und das klar voneinander Getrennte geht – immer im Kontrast zu etwas, das man „mathematische Abstraktion“ nennen könnte. Die Welt, in der wir leben, ist sehr stark von binären Grundstrukturen geprägt. Also beispielsweise 1 und 0 als Basiseinheit für Computeroperationen. Das ist so eine Art konstitutives Grundprinzip, welches unsere ganze Lebenswelt durchwirkt, und das auch extrem reduktionistisch ist. Welches aber völlig selbstverständlich funktioniert und akzeptiert wird. Im Prinzip ist das ganze westliche Denken und die damit einhergehende Weltorganisation noch immer stark von Dualismen geprägt, was mir in vielerlei Hinsicht problematisch vorkommt. „Natur und Kultur“, „Realität und Simulation“ – das sind solche Gegensatzpaare, auf die sich viele meiner Arbeiten beziehen.
Mir geht es immer auch darum, das zu reflektieren. Ich arbeite sehr viel mit Computerästhetik, aber immer so, dass alles so ein bisschen komisch aussieht, in der Simulation nicht ganz realistisch. Entweder zu perfekt oder eben mangelhaft in der technische Umsetzung. Meist sind das organische Elemente wie Pflanzen, Tiere und menschliche Körperteile. Computerästhetik hat einen Hang zur Asepsis, zu unnatürlicher Perfektion, zum Un- oder Übermenschlichen. Das fasziniert mich schon sehr.
I: Dann kommt hier die These zu deinem Arbeitsprozess. Und zwar: Deine Arbeit speist sich aus der tiefen Kränkung, kein Maler zu sein.
B: (lacht) Also ich muss gestehen, dass ich verstehe, warum man mich sowas fragen könnte. Aber ich würde nicht sagen, dass das eine Kränkung ist, nicht so direkt. Weil, ich fühle mich jetzt nicht gekränkt. Ich bin ein großer Freund der Malerei! Das, was ich mir eigentlich am liebsten anschaue an Kunst, ist tatsächlich Malerei. Da gibt es ganz viele ästhetische Strategien, bei denen man aus Material – aus abstraktem Material, reiner Farbe – eben Dinge schafft, die auf die erkennbare Welt rekurrieren, bei denen aber gleichzeitig das Material immer als Material präsent bleibt. Also es tritt nie zurück, wie zum Beispiel bei einem fotografischen oder digitalen Bild, bei dem die Materialität total in den Hintergrund tritt. Dieser innere Widerstand zwischen dem Dargestellten und den Materialien der Darstellung, das ist für mich ein ganz elementarer Widerspruch, den ich in der Kunst total wichtig finde. Auch die Tatsache, dass die Handlungen der malenden Person materielle Spuren hinterlassen, anhand derer man als BetrachterIn Entscheidungen und Prozesse nachvollziehen kann, finde ich extrem spannend. Malerische Handlungen sind keine symbolischen Gesten, sondern manifestieren sich ganz konkret, eben materiell, und haben deshalb eine ganz besondere Kraft für mich.
Der Grundanspruch meiner Arbeit ist, im/in der BetrachterIn so eine Art von konstruktiver Entfremdung von der Welt hervorzurufen, die die Dinge und ihr Verhältnis zueinander vielleicht erschüttert und dank der sie neu gedacht werden können. Ich benutze zwar gerne affirmative Grundelemente, um Leute zum Einstieg zu bewegen, aber fundamental geht es auch immer um so eine Art von Entfremdungsmoment. Und dieses Entfremdungsmoment erzeugt man eben auch dadurch, dass man die eigenen Mittel der Darstellung so ein bisschen „zur Aufführung“ bringt und die Dinge dabei nicht eins zu eins ineinander übergehen. Und das ist auf jeden Fall eine malerische Qualität, die ich immer auch in meine tatsächlich zum großen Teil digitale Arbeit mit einzubauen versuche.
I: Lass uns doch mal zwei dieser Techniken, die immer wieder bei dir auftauchen, genauer anschauen, vielleicht kannst du ein bisschen was dazu sagen, wie du die einsetzt. Zum einen Trompe-l’œils und daran anschließend, oder sich daran reibend, Glitches. Du mobilisierst sie auf eine gewisse Art und Weise, die sich ständig wiederholt. Man hat den Eindruck (lacht), du möchtest was damit bezwecken ...
B: Ja, absolut. Ich denke, der Zufall ist total wichtig, auch als quasi gegenmathematisches Moment. So würde ich das einfach mal nennen. Dass man in der digitalen Sphäre versucht, mit dem Zufall zu arbeiten, Situationen zu schaffen, in denen der eigene Plan nicht aufgeht und so auch Unerwartetes entstehen kann, das ist auf jeden Fall total wichtig für mich. Im Digitalen immer auch Fehlerpotentiale mit einzubauen.
I: Die Definition, die ich für einen „Glitch“ gefunden habe, lautet: „eine temporäre Falschaussage in logischen Schaltungen“.
B: Ah ja, das ist schön. Die kannte ich noch nicht. Ja, aber genau sowas ästhetisch zu erzeugen, auch mit digitalen Mitteln, finde ich irgendwie gut. Und die zweite Frage ... genau: Trompe-l’œils. Was ich bei Trompe-l’œils ganz toll finde, ist das Moment der Ent-Täuschung. Also die Täuschung und die gleichzeitige Ent-Täuschung. Wenn ich mit Trompe-l’œils arbeite, dann sehr häufig in einem ästhetischen Rahmen, der noch halbwegs plausibel ist. Das heißt, es gibt in meinen Arbeiten gefakte Bildelemente mit vorgetäuschter Plastizität, welche – was die Raumtiefe angeht – immer noch einem verhältnismäßig realistischen Maßstab entsprechen. Die simulierten Bilderrahmen in vielen Bildern sind so ein Beispiel. Ich verwende immer wieder optische Täuschungen, die sich knapp unterhalb der Bildoberfläche abspielen und die deshalb den BetrachterInnen relativ lang plausibel erscheinen.
Das ist einfach auch eine ganz zeitgenössische Ästhetik, schließlich arbeiten wir die ganze Zeit mit Screens, also quasi mit Anzeigen, die flach sind. Das Vortäuschen von Plastizität ist einfach auch eine Art von, sagen wir mal, Zugehen auf die Grundkonstante menschlicher Wahrnehmung, dass Räumlichkeit für uns total wichtig ist, um uns zu orientieren. Und deswegen sind zum Beispiel Benutzeroberflächen und ganz vieles von dem, was wir auf Screens veranstalten, jener Logik entsprechend konzipiert, um uns die Navigation zu erleichtern. Das ist ein ganz selbstverständliches, ästhetisches und funktionales Moment, mit dem wir täglich zu tun haben. Dieses digital-ästhetische Moment zu thematisieren, es auf eine gewisse Art vorzuführen und auch immer wieder damit rumzuspielen, ist mir irgendwie wichtig.
I: Offenbar ist Dysfunktionalität dir dann wichtig. Also Trompe-l’œils mit der Enttäuschung und Glitches eben auch mit einer Form des Nicht-Funktionierens. Spielt es für dich eine zentrale Rolle, Dysfunktionalität zu thematisieren, darzustellen, zu produzieren, oder geht meine Lesart da ins Leere?
B: Nein (lacht), Dysfunktionalität ist ganz toll. Weil, naja, Funktionalität bedeutet ja einfach nur, dass man eine bestimmte Vorstellung davon hat, wie Dinge zu laufen haben. Und innerhalb der Parameter, was gut/schlecht oder funktional/nicht funktional ist, werden dann eben bestimmte Zwecke erfüllt oder eben nicht. Und das ist für mich auch, ganz oldschool, ein Potential von Kunst, dass man solche Kategorisierungen ein bisschen auflöst. Gerade Funktionalität hat ja häufig so eine Scheinevidenz. Denn es gibt (Pause) so Dinge, auf die sich scheinbar alle einigen können, weil sie in einem pragmatischen Sinne funktional sind und dadurch etwas Positives erzeugen; bei denen es sehr vielen Leuten also total plausibel erscheint, dass sie positiv sind.
I: Was gleichzeitig aber Anderes ausschließt, ausgrenzt.
B: Ja genau. Auf jeden Fall.
I: Ich wollte nochmal zurückkommen auf meine These bezüglich der Frage, warum die Malerei so wichtig ist. Dein Ansatz geht ja offenbar über so ein reines Interesse für ästhetische Strategien hinaus. Funktioniert Malerei in deiner Arbeit auch so ein bisschen als Chiffre für die Kunst im Allgemeinen?
B: Ja, manchmal schon. Oder zumindest für eine bestimmte Auffassung von Kunst, die mit Expressivität, performter Individualität und ungebrochener Subjektivität zu tun hat. Auch Vorstellungen von Unmittelbarkeit spielen hier eine Rolle für mich. Weitere häufig in diesem Zusammenhang genannte Schlagworte sind ja Intrinsische Motivation, Innovationskraft, Kreativität und Einzelkämpfertum. Mich interessieren vor allem populäre Bilder von Künstlertum und deren Rezeption in anderen gesellschaftlichen Feldern, und da ist die Figur der Malerin bzw. des Malers immer noch ungeschlagen. In meiner eigenen künstlerischen Praxis und Selbstorganisation sind mir immer wieder – aus meiner Sicht – hochproblematische Aspekte begegnet, die in der populären Rezeption von künstlerischer Kreativität und Subjektivität verständlicherweise kaum eine Rolle spielen.
I: Du meinst, das ist insofern problematisch, als dann Subjektivitierungsimperative aufkommen und z. B. in der Arbeitswelt neben der Lohnarbeit als Einkommensquelle auch noch die persönliche Selbstverwirklichung eine zentrale Rolle spielt?
B: Ja. Es gibt auf jeden Fall gewisse Selbstausbeutungstendenzen, die mit so einer Vorstellung von Subjektivität auch zu tun haben. Also die Vorstellung davon, dass die Arbeit, die man leistet, Lohnarbeit, dass die auch gleichzeitig auf einer persönlichen, spirituellen, selbsterfüllenden Ebene unheimlich viel Sinn machen sollte. Wir leben in einer Gesellschaft, in der auch Erwerbsarbeit nicht notwendigerweise einfach nur eine lebenserhaltende, sondern auch eine tiefergehende Funktion hat, was ja in vielerlei Hinsicht total schön ist. Das führt aber eben auch zu Problemen. Zum Beispiel zu gewissen Entgrenzungsmomenten; oder dass die Arbeit nicht mehr ausreichend finanziell abgegolten wird, sondern auch durch so eine Art von symbolischem Kapital, dessen Wert für die arbeitende Person häufig unsicher, volatil ist. Entsolidarisierung ist ein weiterer Aspekt, hervorgerufen durch den eben genannten Einzelkämpferspirit. Ich sehe da auf jeden Fall einen Zusammenhang zwischen diesen Umständen und der Vorstellung von Kunst oder vom KünstlerInnensubjekt, wie es in einem populären Sinne entworfen wird – nicht nur in einem ganz ausdifferenzierten, akademischen Sinne, denn da gibt es natürlich schon seit x Jahrzehnten die unterschiedlichsten Entwürfe. Auch durch ganz persönliche Erlebnisse, durch meine eigene künstlerische Arbeit und das Reflektieren der eigenen Position sind mir da viele einfach auch problematische Aspekte begegnet.
I: Welche ganz konkret? So etwas wie der/die KünstlerIn als StichwortgeberIn für eine Liberalisierung der Arbeitsökonomie zum Beispiel?
B: Zum Beispiel. Wenn man Leute dazu motivieren möchte, hohe Leistungen zu erbringen, funktioniert das am besten, wenn man versucht, sie als gesamte komplexe Persönlichkeit zu mobilisieren. Und, dass die Leute nicht mehr durch „äußere“ Anreize motiviert werden, durch die Anhäufung von Geld und Status beispielsweise, sondern dass sie Aufgaben gerne und auch deshalb mit voller Energie übernehmen, weil sie von deren Wichtigkeit überzeugt sind. Um dann eben das gesamte Potential dieser Leute abzurufen und auch eben zu kapitalisieren, im Sinne von finanziellem Kapital.
I: Jetzt sind wir schon mittendrin in dem, was meine dritte These werden sollte: Du brauchst die Erwerbsarbeit für die künstlerische Arbeit. Also das meint einerseits vielleicht, dass du in deiner Arbeit so eine soziologische Betrachtung der Verhedderungen von Kreativität, Kreativwirtschaften, Arbeitsökonomien leistest. Aber deine eigene Erwerbsarbeit informiert deine künstlerische Arbeit ja auch, würde ich sagen. Vielleicht insofern, als du über die Eingebundenheit in ökonomische Prozesse außerhalb deiner künstlerischen Arbeit dann vielleicht auch dieses Ideal des/der sich selbst verwirklichenden Künstlers/Künstlerin hinterfragst, und, inwiefern dieses Bild in eine neoliberale Verwertungslogik übersetzt worden ist, um Motivationsprozesse in Gang zu setzen. Ich kann mir vorstellen, dass das vielleicht über deine eigene Arbeitserfahrung entstanden ist.
B: Eigentlich nicht, das kam eher über soziologische Literatur in Gang. Ich habe eben während des Studiums gemerkt, dass viele Anforderungen – berufliche, künstlerische und private – sich auf ganz komische Arten und Weisen, auch zwischenmenschlich, in diesem Kunstberuf verschränken. Und ich habe gemerkt, dass das bereits anfing, leichte Dissonanzen zu erzeugen. Durch einen reinen Zufall bin ich in einem Seminar von Juliane Rebentisch gelandet, die damals auch total auf diesem Thema war. Ich bin eigentlich ein sehr politischer Mensch. Also, ich interessiere mich extrem für Politik und lese regelmäßig ziemlich viel darüber. Das hat aber bis zu dem Zeitpunkt in meiner künstlerischen Arbeit nie eine Rolle gespielt und ich habe mich dann irgendwann im Studium gefragt: Ist das normal (lacht) oder ist das nicht irgendwie auch merkwürdig? Und dann gab es da diesen Moment, als eine Art Meta-Politisierung meiner eigenen künstlerischen Rolle stattgefunden hat. Also, dass ich mich selbst und meine Arbeit plötzlich in einem größeren gesellschaftlichen Kontext reflektiert habe und dass diese ganze soziologische Betrachtung der eigenen Existenz und der eigenen Arbeit plötzlich total wichtig wurde.
I: Wenn man deine beiden Tätigkeiten nebeneinanderstellt, also zum einen die Arbeit, die du für den Pressespiegel machst, für den du Diskurse bündelst, stauchst und konsumierbar präsentierst als Erwerbsarbeit, und zum anderen die Kunst: Ließe sich dann sagen, dass die Lohnarbeit deine künstlerische Arbeit stark informiert, indem die Diskursivität in der künstlerischen Arbeit gar nicht so stark stattfindet, sondern eher von außen hineinkommt?
B: Das ist vielleicht fast so eine Art von kompensatorischem Verhältnis. Ich interessiere mich unheimlich für Kunstdiskurse. Also zumindest für die, die gesellschaftspolitisch angebunden sind. Insbesondere interessiert mich die weniger spezialistenhafte, populäre Auseinandersetzung mit Kunst/Kultur und die ganze Politik, die da dranhängt. Der Pressespiegel ist so eine Möglichkeit, mich damit zu beschäftigen und das auch wieder produktiv zu machen. Aber das muss dann halt nicht unbedingt direkt in meine Kunst rein.
I: Du siehst also diese Dienstleistung, die du machst, dass du diese Texte liest und komprimierst und zweimal monatlich als Pressespiegel präsentierst, das siehst du explizit nicht als Teil deines künstlerischen Projektes an?
B: Ja, auf jeden Fall. Ich sehe das eher (lacht) als Serviceleistung. Es gibt da ganz pragmatische Entscheidungen, die ich dann treffe, für die es ganz nachvollziehbare Kriterien gibt, warum ich bestimmte Dinge auswähle. Ich sehe das nicht so richtig kreativ, muss ich sagen. Ich finde, es ist auch nicht notwendig, das irgendwie großartig kreativ zu sehen.
I: Das muss man auch nicht, denke ich. Aber mir scheint das ein grundlegender Aspekt deiner an gesamtgesellschaftlichen Phänomenen interessierten Praxis zu sein. Das ist ja nicht die typische Elfenbeinturm-Arbeit. Sondern es gibt ein Grundinteresse, welches sich dann in deiner Serviceleistung noch ausdifferenziert. Daher die Frage, ob du da den harten Schnitt siehst. Aber ich verstehe, dass man das ausgrenzt.
B: Bei den Arbeiten, die in letzter Zeit entstanden sind, gibt es ganz viel Material, das fast völlig frei ist von irgendwelchen soziologischen oder gesellschaftlichen Grundinteressen. Die ganzen Zahnarbeiten zum Beispiel. Das ist wirklich die reine Freude an bestimmten Ästhetiken und auch die Absicht, so ein gewisses unangenehmes Gefühl zu erzeugen. Da gibt es wirklich relativ wenig konkrete Bezugnahme auf bestimmte Diskurse – zumindest nicht intentional. Natürlich lassen sich auch da Verbindungen herstellen: weiße Zähne, White Cube, da gibt es natürlich auch gewisse gesellschaftliche Implikationen. Ob man z. B. das ökonomische Wohlergehen einer Person an den Zähnen ablesen kann und lauter solche Sachen. Reinheit und in Zusammenhang damit bestimmte Vorstellungen davon, wie der White Cube als Ausstellungsraum konstituiert ist. Das Ausgrenzen von äußeren Einflüssen und die Idee von Verschmutzungen, das sind so Fragen, die jetzt mit diesen neuen Arbeiten aufkommen. Aber die sind nur relativ locker verbunden mit gesellschaftlichen Diskursen. Das ist gerade eigentlich auch wirklich ein großer Spaß.
I: Sehr frustrierend, dass du meine vierte These vorweggenommen hast, laut der du mit deiner Arbeit gerade in eine neue Phase eingetreten ist, in der du dein Inventar an Formen und Techniken, die du dir als quasi-rhetorische Instrumente aufgebaut hast, neu phrasierst und zusammensetzt. Da wäre meine Frage gewesen, ob du dich, oder besser gesagt, ob sich deine Kunst aktuell aus ihrer Diskursivität so ein bisschen zurückzieht. Was du ja dann eben genau so beschrieben hast.
B: Total.
I: Was aber vielleicht auch stattfindet, stattfinden kann, weil Diskursivität bei dir dann auf dem Standbein (Anm.: die Lohnarbeit) stattfinden kann. Aber lass uns bei diesen neuen Arbeiten bleiben, die du bei Petra Rinck Ende 2019 gezeigt hast. Woher kommt diese Verengung auf das Tafelbild?
B: Das Tafelbild ist einfach eine tradierte Form der Kunstpräsentation und ich mag es, mich mit Formaten zu beschäftigen, die scheinbar selbstverständlich sind. Und eines der konventionellsten Formate, die ich mir überhaupt vorstellen kann, ist das Bild an der Wand. Das ist auch eine ganz pragmatische Entscheidung gewesen. Weil mir das erlaubt, mit grundlegenden Präsentationsformen herumzuexperimentieren. Da tun sich diverse Möglichkeiten auf, z. B. wie man mit Rahmen umgeht. Das sind auch tatsächlich ganz einfach kunstphilosophische Klassiker, die mich dann interessieren. Dass ein Bild eigentlich zweidimensional wirkt, aber immer auch plastisch ist. Was macht man eigentlich mit dem Rand oder der Seite von einem Bild? Wie geht man damit um? Und was sagt das aus, wie man damit umgeht, und so weiter. Da ergeben sich für mich einfach ganz viele Potentiale, mit denen ich gerne arbeite. Es ist ziemlich flach, (lacht) das Bild. Aber es ist eben nicht zweidimensional. Und innerhalb von diesem kleinen plastischen Spielraum, wo quasi Dreidimensionalität eine Rolle spielt, aber eben keine hervorgehobene, vulgäre Rolle hat, wie zum Beispiel in einer Installation oder Plastik oder Skulptur, kann man dann mit solchen Fragen arbeiten. Auf einer relativ subtilen Ebene. Die man quasi so durch die Hintertür einfach immer mitverhandeln kann, ohne dass es so ein Mega-Thema wird. Deswegen mag ich das Tafelbild als das mit konventionellste Medium, das ich mir vorstellen kann.
I: Ich habe mir dieses komische Buzzwort painting beside itself im Zusammenhang mit dir aufgeschrieben. Würdest du da mitgehen oder ist das für dich schon eher painting painting? Denn das diskursive Material, das die Elemente mitschleppen, ist ja jetzt nicht mehr so präsent und die Bilder funktionieren auch ohne einen Anker im Außen.
B: Hmm, da würde ich wohl eher nicht mitgehen. Ich muss dazu sagen, dass ich mich eine Zeit lang sehr viel mit so Meta-Malerei und den ganzen Klassikern beschäftigt habe. Was ich damals dann tatsächlich am allertollsten fand, ist die Arbeit von Robert Ryman, d. h. eine Art von Malerei, die einfach Grundthemen ihrer eigenen materiellen Bedingungen thematisiert, aber auf eine ganz poetische und spielerische Art und Weise. Also das ist ein Bild, da ist Farbe drauf, dann gibt es eine Signatur, dann muss ein Bild an der Wand befestigt werden. Dass jeder Pinselstrich an sich schon eine Entscheidung beinhaltet und einfach nur diese Entscheidung thematisiert wird, auf so eine gewisse Art. Ich fand das unheimlich minimal, selbstreferentiell und gleichzeitig poetisch. Oder dass zum Beispiel die Farbe Weiß nicht immer die hellste Farbe ist. Sondern dass es dafür bestimmte materielle Voraussetzungen gibt. Wie zum Beispiel: Wir malen auf einem Alu-Träger und dadurch, dass das Licht changiert, ist das Weiß manchmal dunkler als die Reflexion auf dem Metall daneben. Das sind ganz poetische, aber auch total analytische Momente. Diese Kombination fand ich extrem überzeugend, mind-blowing, und das ist eine Art Grundreferenz, wie ich mit ästhetischen Mitteln umgehe. Also spielerisch und analytisch zugleich, ja.
I: Also du bist Maler, um mal zurück an den Anfang zu gehen.
B: (lacht) Ich sage mal, ich habe unheimlich viele ästhetische Strategien aus der Malerei übernommen oder zu schätzen gelernt und dann versucht, sie in meine digitale Praxis zu integrieren. Wir haben unheimlich viel mit digitalen Bildern zu tun. Aber das digitale Bild hat ein fundamentales Problem und das ist eben seine Körperlosigkeit, das Verstecken der Mittel der Produktion. Das kennt man vom fotografischen Bild natürlich schon lange. Die Art, wie jetzt digitale Bilder produziert werden, das sind Drucke oder Darstellungen auf einem Monitor, die keine eigene Materialität haben oder eben eine, die einfach nicht mitgedacht wird. Ich finde das ein fundamentales philosophisches Problem in der medialen Vermittlung von Welt. Dieses Thema beschäftigt mich einfach schon seit Ewigkeiten. Unter anderem deshalb bin ich vor knapp zehn Jahren auf Büttenpapier als Bildträger umgestiegen – die raue Oberfläche des Papiers und seine organische Struktur geben den Arbeiten einen „Körper“ und erzeugen einen starken taktilen Reiz.
I: Was sagst du zu dieser Ad-hoc-These: Was du gerade gesagt hast, ist eine gute Zusammenfassung deiner künstlerischen Praxis. Das digitale Bild verschleiert den Herstellungsprozess. Und warum verschleiert es ihn? Weil er teilweise problematisch ist, ausbeuterisch oder selbstausbeuterisch. Und so hängen vielleicht diese beiden Komplexe zusammen, Malerei zum einen, Arbeit von der soziologischen Perspektive aus gesehen auf der anderen Seite. Also, ich denke jetzt nur laut.
B: Die These ist mir zu steil. (lacht)
I: Bei den neuen Bildern ist mir eine Wiederholung aufgefallen. Und zwar zeigst du dich darin als komische Figur, was du früher auch schon mal gemacht hast, u. a. als Karl Klammer, dieser nutzlose Assistent von Microsoft. Jetzt wieder als schrumpfköpfiges Monster. Es fällt ja auf, dass du viel mit Selbstportraits arbeitest, aber warum zeigst du dich selber als Hanswurst?
B: Hmm, gute Frage. Wenn man sich selber als ProtagonistIn irgendwie auch lächerlich macht, finde ich das grundsätzlich eine sympathische Haltung. Sich als AutorIn nicht so ernst zu nehmen, spiegelt vielleicht so ein bisschen meine Gesamtattitude, weil mir Autorschaft im Sinne von einer persönlichen Hervorbringung von Dingen generell ziemlich suspekt ist. Denn es gibt unglaublich viele Einflüsse, von denen ich mir bewusst bin, dass sie meine Arbeit prägen. Zufälle sind wie gesagt kein Problem für mich, sondern ein produktiver Grundbestandteil meiner Arbeit. Und das reflektiert vielleicht auch ein bisschen mein Auftreten als deren Autor. Ehrlich gesagt habe ich bisher nie darüber nachgedacht, aber es kommt mir irgendwie plausibel vor, dass in dieser Lächerlichkeit der schaffenden Person (lacht) eine große Freiheit steckt. Aber auch so eine gewisse Angreifbarkeit. Ich trete eben nicht autoritär auf. Schließlich ist die eigene Arbeit immer nur eine Behauptung. Das fand ich schon immer mit das Tollste an der Kunst: dass alle immer nur behaupten und es einfach darauf ankommt, wer die geilste, übertriebenste, merkwürdigste, verwegenste und trotzdem plausibelste Behauptung aufstellt und dass genau deshalb Autorität im klassischen Sinne nichts zählt. Das war für mich immer schon ein befreiendes Moment von Kunst. Und so präsentiere ich mich als Autor eben in diversen merkwürdigen, lächerlichen Posen, um meine Position in Frage zu stellen.
I: … und das vielleicht auch eingedenk der Offenlegung der problematischen Auswirkungen eines liberalen KünstlerInnenverständnisses, das dann Stichwortgeber wird für die Deregulierung der Arbeitswelt. Ist so eine Form von Lächerlichkeit für dich dann die einzige Möglichkeit, an so etwas wie Kunstmachen festzuhalten?
B: Sagen wir mal so: ich bin teilnehmender Beobachter in diesem ganzen Zirkus. Dieses Kunstmachen ist in vielerlei Hinsicht problematisch und grotesk, auch durch diese ganzen Verstrickungen, mit denen man da zu tun hat. Mein Grundgefühl ist ein ambivalentes; es gibt sehr viele Dinge, die ich unglaublich sinnvoll und toll finde an der Existenzform, die ich pflege, und es gibt unheimlich viele Aspekte, die ich total bedenklich finde. Das kann ich alles nicht voneinander trennen, da diese positiven und negativen Aspekte für mich alle irgendwie zusammengehören. Ich sage nicht, dass das eine produktive Haltung ist, es ist nur meine ehrliche Haltung. Ich kann mich nicht so richtig auf eine bestimmte Seite stellen in diesem Feld. Und ich glaube oder hoffe, dass meine Arbeiten dieses Involviertsein und auch dieses moralische Dilemma ernst nehmen und nicht versuchen, das aufzulösen oder Ausweichmanöver durchzuführen. Und dass das zu Ergebnissen führen kann, die total problematisch, aber gleichzeitig auch sehr erkenntnisreich sind. Weil sie eben nicht demonstrieren, was man eh schon weiß, sondern Fragen formulieren, die ehrlich sind. In meiner Arbeit schwingt immer ein grundsätzlicher Zweifel daran mit, sich tatsächlich auf eine bestimmte Seite schlagen zu können, aber eben auch die Idee, dass genau das auch eine Qualität sein könnte. Zumindest eine künstlerische oder philosophische Qualität. Ich spreche nicht von einer politischen Qualität oder so. Da gibt es für mich einen klaren Unterschied. Kunst zeigt die Welt wie sie sein könnte, und nicht, wie sie sein sollte. Das ist meiner Meinung nach ihr spezifisches Potential.