Die Bedingungen, unter denen Fotografien hergestellt, betrachtet, verbreitet und verwendet werden, haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Das Internet als globaler "Zeit-Raum" hat sich zu einem Ort entwickelt, in dem heimatlose Bilder stetig neu kontextualisiert werden. Der größte Teil der hergestellten Fotografien findet nicht mehr seinen Weg aufs Papier, sondern wird auf unterschiedlichsten Endgeräten betrachtet. Digital manipulierte Bilder sind allgegenwärtig und verändern so unseren Blick auf die Welt. Und schließlich sind Rendering-Programme dabei, das schon immer eher lose Band, welches die sichtbare Realität mit ihrem fotografischen Abbild verknüpfte, endgültig zu durchtrennen.
Meine eigene künstlerische Arbeit reflektiert auf vielfältige Weise jene veränderten Bedingungen. Selbst produziert Fotografien und Bilder, professionell hergestellte Stockimages aus Online-Datenbanken und dilettantische Amateur-Fotografien stehen in meinen Arbeiten gleichberechtigt nebeneinander. Der Verweis auf die hyperrealen Aufnahmen aus dem kommerziellen Bereich der Werbefotografie und die Referenz der reinen Dokumentation ohne ästhetischen Anspruch werden als unterschiedliche Form der virtuellen Kommunikation über Bilder in meinem Werk kurzgeschlossen. Die Arbeiten weisen alle in unterschiedlicher Form eine starke physische Präsenz auf, welche den Realraum als primären Erfahrungsraum definiert und mit der Ästhetik des Hyperrealen verbindet.
Dennoch zählen auch reine Online-Arbeiten zu meinen künstlerischen Oeuvre. Die Berücksichtigung spezifischer Rezeptionsbedingungen ist Teil meiner Arbeit, so dass immer wieder neue Medien und Materialien zum Einsatz kommen. In der Vergangenheit habe ich bereits bestehende Arbeiten transformiert, um sie veränderten Kontexten anzupassen.
Das Spannungsverhältnis zwischen Virtualität und physischer Präsenz ist ein wiederkehrendes Motiv meiner künstlerischen Praxis, ebenso wie die Auslotung der Widersprüche zwischen einer digitalen - und somit mathematischen - Abstraktion und einer wortwörtlich unberechenbaren "realen" Welt, welche zunehmend von dieser überlagert wird. In meinen digitalen Collagen tauchen daher häufig dilettantische Renderings, in denen die Gesetzte der Physik durch fehlerhafte Nachahmung außer Kraft getreten sind, in Kombination mit der Simulationen von klassischen künstlerischen Medien wie Farbe und Bleistift auf. Die mimetische Berechnung vermeintlich eindeutig an die materielle Welt gebundener Spuren des prozessorientierten Arbeitens wie Farbspritzer und expressive Zeichnung überführen diese ins Hyperreale, während die gegenständlichen Renderings eine sich durch ihre Grobheit von den feinen Nuancen der Realität abwendende Bildkultur referieren.
So überschneidet sich auf ästhetischer Ebene eine Vorstellung von Perfektion in Form der Nachahmung der künstlerisch-expressiven Geste, die durch ihre mathematische Berechnung die eigene Authentizität und die Verankerung im Zeit-Raum Gefüge des Materiellen in Frage stellt, mit der Nachlässigkeit kommerziell hergestellter Bilder, die durch ihre Grobheit digitale Bildprozesse offenlegen und durch ihre eigene Logik eine sich entwickelnde autarke digitale Gegenwart ankündigen.
Nicht nur die Bedingungen, unter denen Fotografie und, etwas allgemeiner, bildnerisches Arbeiten heute stattfinden, haben sich verändert. Auch das Bild und die Rolle des Künstlers / der Künstlerin in westlich geprägten Gesellschaften haben sich stark gewandelt.
Das Künstlertum bietet sowohl dem Konzept des Individualismus als auch dem des Neoliberalismus, welche man als konstitutiv für westliche Gesellschaften bezeichnen könnte, vielfältige und positive Anknüpfungspunkte. So hat sich ein Narrativ etabliert, welches ein auf bestimmte Merkmale zurechtgestutztes Künstlerbild als Vorbild propagiert: Die Figur des Künstlers / der Künstlerin verkörpert für den Individualisten Werte wie Freiheitsdrang, Autonomie, Authentizität und Intensität. Aus neoliberaler Perspektive sind vor allem Merkmale der Wertschöpfung und der persönlichen Arbeitsorganisation interessant: Kreativität und Innovationsdrang des Künstlers verkörpern zugleich unternehmerische Tugenden, welche unabdingbar sind für das Überleben der Marktteilnehmer im ständigen Wettbewerb. Als leidenschaftlicher Unternehmer seiner Selbst bevorzugt er die Selbstständigkeit und begrüßt die Abwesenheit Sicherheit gebender Strukturen als Freiheitsgewinn. Die unklare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Beruf und Privatleben ermöglicht aus dieser Perspektive heraus die totale Mobilisierung aller menschlichen Ressourcen und wirft den Einzelnen im Falle eines Scheitern ganz auf sich selbst zurück, ohne die Möglichkeit eine äußere Instanz, sei es der Arbeitgeber oder die Gesellschaft, dafür verantwortlich machen zu können.
Dass diese Zuschreibungen holzschnittartig sind und in vielen Fällen an der komplexen Realität vorbeigehen ändert nichts an der Wirkungsmacht solcher Narrative. Viele meiner Arbeiten der letzten Jahre beschäftigen sich mit eben jenen merkwürdigen ideologischen Überschneidungen, welche ich mit einer Mischung aus Faszination und Widerstand zur Kenntnis nehme. Diese Ambivalenz ist auch in meinen Werkgruppen "XXL|XXX", "You're Fired", "I Love My Job" und "Art Business As Usual" zu finden. Häufig haftet ihnen etwas Groteskes und Überaffirmatives an, was den Arbeiten eine abgründige Note verleiht.